Christof Seiffert - Altbaurestaurierung & Altbausanierung, Denkmalschutz
 

Wassermühle

Tenno, Trentino
Ende 17. Jahrhundert

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Vorgeschichte zur Restaurierung

Die Mühle wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut. Dokumente existieren nicht. Die Zeitbestimmung ergibt sich aus Überlieferungen, Material und Handwerk. Wir kauften 1976 die Mühle in originaler, allerdings ruinöser Bausubstanz. Mich faszinierte der historisch unverfälschte Zustand. Die Mühle war seit hundert Jahren aufgegeben, verfallen, teilweise eingestürzt, durch den Mühlraum floss aus dem angrenzenden Berg das Wasser. Mich reizte die Herausforderung, das Gebäude vor dem völligen Einsturz zu bewahren — trotz aller Unkenrufe des Denkmalamtes und mehrerer Architekten, die mich für verrückt hielten, die Ruine restaurieren zu wollen. Ich ließ sie reden, entwickelte das statische Konzept und den Sanierungsentwurf, fand einen aufnahmefähigen Bauunternehmer und andere Handwerker und legte los. Ohne meinen Mut wäre dieses Zeugnis der Zeitgeschichte durch zwei starke Erdbeben, die ich kurz nach Fertigstellung der Stabilisierungsarbeiten bedrohlich miterlebte, vollständig eingestürzt, wie vergleichbare Natursteinhäuser im nördlichen Teil des Gardasee-Gebietes. Aus verwaltungsrechtlichen Gründen ließ ich meinen vollständigen Restaurierungsentwurf für die Baugenehmigung über einen italienischen Architekten, der den Entwurf ohne jede Änderung übernahm, italienisch beschriftete, bei der Gemeinde Tenno im Trentino einreichen. Der Architekt war nie in der Mühle.

Restaurierung

Vor Baubeginn wollte ich die Aufnahme der Mühle in die Denkmalliste erreichen. Die Denkmalschützer erklärten mir vor Ort, das sie das Gebäude wegen statischer Probleme als unrettbar aufgeben und deshalb nicht unter Denkmalschutz stellen werden. Sie wollten nur gleich die markanten Granitstelen des Mahlwerks für ein Museum abtransportieren. Schliesslich konnte ich den Verbleib der historischen Zeugnisse in der Mühle verteidigen. Für mich war die Mühle ein Baudenkmal, das wegen der Erkennbarkeit der Arbeits- und Lebensbedingungen vor gut 300 Jahren für spätere Generationen möglichst unverfälscht erhalten werden musste. Mir war es wichtig, die Mühle außen und innen in ihrer Substanz, d.h. den Materialien, dann in ihrer Nutzung ablesbar und in ihrer ästhetischen Erscheinung so weit wie möglich zu belassen.

Nach der Baugenehmigung fand ich gute Leute, insbesondere Geanni De Gasperi, einen jungen, aufgeschossenen Bauunternehmer, mit dem ich mein für ihn ungewöhnliches Restaurierungskonzept umsetzen konnte. Durch meine tägliche Mitarbeit und Bauleitung konnte ich ihn überzeugen, die Mühle so zu restaurieren, dass man die Restaurierung möglichst nicht sieht. Selbst die massiven statischen Eingriffe konnte ich – von außen unsichtbar – hinter dem originalen, unverputzten Natursteinmauerwerk „verstecken“, die neuverputzten Innenwände im Wohnbereich ließ ich zum anfänglichen Unverständnis aller Beteiligten wieder krumm und schief mit dem Satz „tutto come prima“ mit originalen Materialien und in historischer Ausführungsart durchführen. 1976 war man dort gewohnt, für die reichen Milanesi und Münchner aus einem alten Natursteinhaus einen perfekten Neubau mit innen und außen sauber verputzten Wänden, Marmorböden und Alu-Haustür zu inszenieren.

Die Mühle wurde auch mit kleinsten Natursteinen und Ziegelresten und vereinzelt Holzstücken – aus Kostengründen wohl mit allem, was man in der Umgebung fand – erbaut. Mit der Zeit verrottete das Holz, der Mörtel wurde zu Sand, so dass das Mauerwerk teilweise eingefallen, voller armdicker Risse und nach Abbruch der Dachkonstruktion einige Mauerpfeiler frei beweglich waren. Umfangreiche Stabilisierungsmaßnahmen waren unumgänglich, um den völligen Einsturz zu verhindern. Ich entwickelte das Statikkonzept, indem ich die vier Außenmauern über umlaufende Ringanker in den Außenwänden mit den zwei neuen Betondecken untereinander verband. Mit von mir bevorzugten, rekonstruierten Holzbalkendecken war das leider nicht möglich. Jeweils nach Abbruch einer Holzbalkendecke stemmten wir in gleicher Höhe innen sämtliche Außenmauern umlaufend zur Aufnahme des Ringankers und zusätzlich in den zwei Längsmauern tiefere Taschen für die Auflage der Deckenfelder aus. Für die neuen Decken wählte ich wegen ihres geringeren Gewichts Hohlkörpersteine, die ich mit Stahlbeton untereinander und über den ebenfalls aus Stahlbeton bestehenden Ringanker mit den Außenmauern zu einer neuen stabilen Einheit verband. Vom tiefen Ausstemmen der Außenwände, dem Einschalen und Bewehren bis zum Einbringen und Verteilen des Betons mit Schubkarren arbeiteten wir mit Hochdruck bis in die Nächte, waren doch vorübergehend die Wände bis zum Einbau des Ringankers erheblich geschwächt. Dass mein Konzept richtig war, konnten wir wenige Tage nach dem Betonieren des letzten Ringankers und der letzten Decke erleben: zwei starke Erdbeben brachten baugleiche Natursteinhäuser in Sichtweite und in benachbarten Regionen zum Einsturz. Wir hatten es gerade geschafft: Kein Haarriss im restaurierten Gebäude. Soweit mein Erhaltungskonzept.

Das Wohnen beließ ich dort, wo vor 300 Jahren gewohnt wurde. Im Erdgeschoss restaurierte ich Küche, Essplatz mit offenem Kamin, zwei Schlafzimmern und fügte Bad und Technikraum hinzu. Im Dachgeschoss restaurierte ich den einen Schlafraum und fügte ein zweites Bad hinzu.

Den archaischen Charakter von Heuspeicher und Mühlraum habe ich erhalten. Den Heuspeicher restaurierte ich durch handverfugte Natursteinmauern. Hohlstellen infolge verrottetem Holz ersetzte ich bis tief in die Außenwände durch einbetonierte Natursteine und Stahlanker. Das teilweise eingefallene Dach habe ich komplett rekonstruiert. Die für die Region typische gewaltige Dachkonstruktion liess ich mit ganzen, geschälten Baumstämmen bis zum First sichtbar, die Dachdeckung mit aussortierten alten und neuen Mönch und Nonne-Ziegeln erneuern. Um die Wärmedämmung unter der Ziegeldeckung zu „verstecken“, baute ich von innen sichtbare ungesäumte, sägeraue Schalungsbretter ein, die dem Charakter des bisherigen Heuspeichers als Arbeitsraum nahe kommen. Die für diese Region typischen großen, fensterlosen Lüftungsöffnungen des Heuspeichers unterm Dach ließ ich bis auf wenige Begradigungen unverändert; ich baute nur filigrane, dunkel gehaltene, von weitem kaum erkennbare Stahlfenster ein.

Im Mühlraum legte ich durch Tieferlegen des Bodens - im vormaligen Arbeitsraum einfach Erde - die gewaltigen Fundamente der Granitstehlen frei, über denen einmal die tonnenschweren Mühlsteine rotierten. Durch Einbau einer Bodenplatte mit Feuchtigkeitssperre legte ich den Boden trocken, um darauf Cottoboden wie im Heuspeicher verlegen zu können. In der Wand zum Mühlbach gab es drei runde Öffnungen. Durch eine mit Naturstein ausgemauerte Öffnung ging die Achse des Mühlrades.

Bei der Fassade habe ich die verwitterte Patina erhalten und nur notwendige Eingriffe hinzugefügt. Diese Zurückhaltung wollte ich: man sollte dem Gebäude seine Geschichte, die bisherigen und meine Ausbesserungen ansehen. Mir ging es darum, das, was mir das Mühlengebäude erzählte, der mühsame Broterwerb, das einfache Wohnen, sichtbar zu belassen. 300 Jahre wurde die Fassade nur ausgebessert, einige Fenster wurden sichtbar zugemauert. Die zerbrochenen Fenstereinfassungen aus rötlichem Verona-Marmor, die Fenster und Fensterläden musste ich rekonstruieren. Treppen und Plätze um die Mühle gestaltete und pflasterte ich mit Natursteinen aus dem nahen Bach und Kleinpflaster aus einem Steinbruch der Region.

Die tägliche, gute Zusammenarbeit mit Geanni De Gasperi und seinen Mannen, die regelmässigen, gemeinsamen Mittagessen bei der Mutter des Mitarbeiters Vittorio im benachbarten Dorf Pranzo, meist mit hauchdünnem, kurz auf der großen Herdplatte angebratenem Rindfleisch und Polenta, mit anschließendem Espresso, das erleichterte Feiern nach jeder fertig gestellten Betondecke mit Wein und Brot waren für mich ein einmaliges Erlebnis. Kein Bauwerk, keine Restaurierung hat mich bis heute so stark erfüllt. Ich glaube, es war die seltene Möglichkeit, ein unverfälschtes, historisch weit entferntes Bauwerk zu studieren, mich mit der Geschichte des Arbeits- und Lebensraums vor gut 300 Jahren auseinanderzusetzen, die damaligen Gewohnheiten in jedem Detail zu fühlen, zu suchen, zu finden und möglichst sichtbar zu erhalten. Ich habe die Einfachheit des Gebäudes, die ursprünglichen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten respektiert und erkennbar belassen — 1976 eine unbekannte Auffassung. Dabei habe ich Italien lieben und infolge meiner tägliche Mitarbeit im Team von Geanni De Gasperi die italienische Sprache gelernt. Für mich eine wunderbare, produktive Zeit mit wertvollen Mitarbeitern und Nachbarn.

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