Christof Seiffert - Altbaurestaurierung & Altbausanierung, Denkmalschutz
 

Cottage

Middleton-on-sea, Südküste England
1930

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Cottage unrestauriert

Cottage restauriert

Vorgeschichte - Kauf, Restaurierung und Ausbau des Dachgeschosses

Als ich 1955 mit 14 Jahren meine Brieffreundin an der englischen Südküste besuchte, verliebte ich mich in den bezaubernden kleinen Ort Middleton-on-sea, etwa 30 Km westlich von Brighton. Seitdem besuche ich dort regelmässig unsere Freunde. 1980 sah ich das Seegrundstück mit dem völlig verwahrlosten Reetcottage, davor das Maklerschild „For Sale“. Ich besichtigte, sah den unbeschreiblichen Charme, greifbar das angrenzende Meer, die einmalige Abgeschiedenheit in einem „private estate“, London-Gatwick eine Stunde, Victoria Station 100 Minuten, ich murmelte etwas von "needs some doing" und kaufte das Cottage. Ich konnte nicht verstehen, dass so etwas einmalig Schönes seit etwa sechs Monaten auf dem Markt war. Der extrem schlechte Bauzustand hatte wohl jeden vom Kauf abgehalten.

In meinem Entwurf führte ich die Sprache des Architekten der 1930er Jahre fort. In die für das kleine Cottage großen Fensteröffnungen baute ich die für historische Gebäude in England typischen Georgian Windows ein. Das sind rekonstruierte Stahlfenster mit Sprossen, wie man sie in England immer noch in den klassischen Maßen kaufen kann, ähnlich alten Fabrikfenstern. Nur das Erkerfenster des Wohnzimmers wurde jetzt der Ausgang zum Meer. Vom unveränderten Grundriss - Wohnzimmer mit offenem Kamin, vier kleine Schlafzimmern, Küche, Bad - trennte ich in der Mitte des Cottage, von einem Schlafzimmer die Treppe zum bisher ungenutzten, fensterlosen Dachraum ab, den ich stützenlos über dem ganzen Cottage mit zwei großen Gauben und einer zweiten Dachebene plante. Ein Architekt vor Ort übernahm meinen Entwurf und reichte ihn beim Bauamt ein.

Beim Kauf war das Cottage im originalen Zustand der 1930er Jahre. Viele Jahrzehnte wurde kein Penny für Reparaturen aufgewendet. Bei der Besichtigung schlug mir unerträglicher Geruch entgegen. Unter dem Linoleum der feuchte Zementboden und Getier. An der Küchendecke hing wie in einer Tropfsteinhöhle daumenlang der erstarrte Bratendunst von 50 Jahren. Die Technik von vorgestern, das Strohdach herunter gerutscht und undicht, die Stahlfenster durchgerostet, die Wände feucht. Ich suchte geeignete Handwerker und begann mit der Restaurierung und dem Ausbau des Dachraums.

Bei der Sanitärinstallation musste ich kontinentalen Standart anwenden und die Einrichtungsgegenstände importieren. Im ungenutzten Dachraum stand nach englischer Tradition der Kaltwasserspeicher, der den Wasserdruck nur über Schwerkraft (low pressure system) für das gesamte Leitungssystem lieferte. Auf mein Unverständnis für dieses System und meinen Hinweis, dass auf dem Kontinent ohne Wassertank einfach der Wasserdruck der Stadtwerke verwendet wird, kam nur ungläubiges Unverständnis. Ich kontaktierte meine Heizungsfirma in Deutschland, die das Gerät lieferte. Voller Unglauben und mit erheblichen Zweifeln montierte schliesslich mein Builder dieses Heizungs- und Warmwasser-System vom Kontinent, das dann 25 Jahre problemlos funktionierte und sich von da an langsam in England durchsetzte.

Für den ungenutzten Dachraum, der wegen der erheblichen Windlasten in erster Reihe am Meer zur Aussteifung vollständig mit Stützen und Querstreben verbaut war, entwickelte ich die neue Statik mit ausschliesslich horizontaler Aussteifung. Ich warf den Holzverbau raus, verstärkte in gut 2 m Höhe die umlaufenden Pfetten und verband beide Längsseiten mit verstärkten Balken, auf denen ich zur zusätzlichen Aussteifung den Dielenboden des zweiten Dachgeschosses einbaute. Vereinfacht: jede Windlast auf eine Seite des Daches wurde jetzt auch auf die gegenüberliegende Dachseite weiter geleitet. Meine Konstruktion überlebte ohne den geringsten Schaden den Jahrhundertsturm von 1987, der ganze Landstriche verwüstete, in Sichtweite Dächer abdeckte und mächtige Bäume umwarf. Wegen der neuen Nutzung des Dachgeschosses baute ich unter der Decke zum Dachgeschoss Balken ein.

Die köstlichen originalen Cottage-doors mit ihren klapprigen Schnappverschlüssen und Einbauschränke konnte ich erhalten. Statt des unerträglichen Pinks aus den 50er Jahren ließ ich diese und die rekonstruierten Georgian Windows aus Stahl im alten englischen Stil glänzend-schwarz lackieren. Zum Schwarz die Wände weiß, rote Ziegelfliesen für sämtliche Böden, Badwände und neue betonierte Küchenarbeitsplatte. Wie immer, Ruhe durch wenige Materialien. Die Restaurierung dauerte etwa acht Monate, für englische Verhältnisse ungewöhnlich schnell, trotz „Tea Time“, die von den Handwerkern sehr ernst genommen wird. Ich konnte offensichtlich auch vom Kontinent aus und während meiner kurzen Arbeitsbesuche die Ausführenden genügend motivieren.

Wie mir der zufällig vorbei kommende, betagte Reetdecker erzählte, verlebte Rita Hayworth im Sommer in diesem Cottage ihre schönste Zeit. Er schwärmte, dass er lange mit ihr im Kontakt stand. Er hatte das Dach mit überdimensioniertem Stroh gedeckt. Für das neue Dach fand ich Joby Ayling, ein außergewöhnlicher Mensch und genialer Handwerker, der die zwei Gauben mit seinem Zimmerer baute und das Dach in perfekter Art - jetzt mit Norfolk-Reet - neu deckte. Bis heute sind wir freundschaftlich eng verbunden.

 

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